Vorwort






Die Kunst, mit Schwerem leicht zu leben - dieser Titel klingt verheißungsvoll. Vielleicht haben Sie deshalb dieses Buch zur Hand genommen: Sie fühlen sich belastet, würden aber gerne leichter leben. In seiner Zuspitzung ist der Titel jedoch zugleich eine Provokation und fordert möglicherweise Ihren Widerspruch heraus. Mit Schwerem leicht leben, wie soll das gehen? Und ist das überhaupt angemessen? Schweres ist nun mal schwer und beschwert das ganze Leben, und wenn es Schweres im Leben von Menschen gibt, passt es nicht, leicht zu leben. Schweres gilt es doch zu tragen, so wie das Menschen seit grauer Vorzeit getan haben. Also, was soll das?

Es ist nicht unsere Absicht, Schweres "leicht zu reden", im Sinne von: "Es ist doch alles gar nicht so schlimm". Wir wollen Sie auch nicht davon überzeugen, sich nur den schönen Seiten des Lebens zu widmen und Schweres auszuklammern. Es hat und braucht seinen Platz im menschlichen Leben, es gehört zum Leben dazu, gibt ihm Tiefe und Gewicht. Doch wenn es alles überschattet, so dass die Lebensfreude verloren geht, dann ist das ein Elend für die Betreffenden selbst, und die Menschen um sie herum leiden oft mit. Es geht also nicht darum, Schweres zu leugnen oder zu bagatellisieren, sondern um einen angemessenen, "vernünftigen" Umgang damit. Der lässt sich erlernen. Auch sehr Schweres muss uns nicht dauerhaft extrem niederdrücken.

Ein Beispiel für das, was wir meinen, ist die berührende und Mut machende Geschichte eines Mannes, dessen Todesanzeige im vorigen Jahr in der Zeitung war. Als junger Mann, aktiver Sportler, in "festen Händen", hatte er einen schlimmen Autounfall. Er überlebte, aber ein Bein und ein Arm waren nicht mehr zu retten. Nach Monaten im Krankenhaus und in der Reha wurde er mit bleibenden körperlichen Einschränkungen entlassen. Wie es weiterging? Er feierte Hochzeit mit seiner Freundin, die ihm treu zur Seite stand, wurde Vater, schulte um, war lange Jahre im Behindertensport erfolgreich, blieb bewusst in seinem alten Freundeskreis. Er hatte Schmerzen, auch immer wieder Phasen der Niedergeschlagenheit, doch er ging aufrecht und von vielen geachtet seinen Weg. Mit Ende 50 verstarb er dann, letztlich an den Spätfolgen seines Unfalls, nach einem nicht leichten, aber erfüllten Leben.

Schweres gibt es im Leben vieler Menschen. Sonntagskinder, denen es geschenkt ist, auf Dauer mit leichtem Gepäck durchs Leben zu gehen, sind eher die Ausnahme. Ehen scheitern, der langjährige Arbeitsplatz geht verloren, Lebensentwürfe werden durch eine ernste Erkrankung oder einen schlimmen Unfall umgeworfen. Es ist nachvollziehbar, dass solche einschneidenden Ereignisse das Lebensgefühl überschatten und sich nicht einfach abhaken lassen. Doch ob Menschen ein bestimmtes Ereignis als mehr oder als weniger belastend erleben, ist sehr unterschiedlich. Für manche ist etwas fast unerträglich schwer, womit andere vergleichsweise gut zurechtkommen. Das Gleiche gilt für die Frage, wie lange Menschen an solchen Schicksalsschlägen tragen. Den einen gelingt es nach einer gewissen Zeit, ins Leben zurückzufinden und neue Perspektiven zu entwickeln, andere versinken in Depression und Resignation.

Auch Sorgen um Zukünftiges können stark auf Menschen lasten: Der Sohn droht in die Drogenszene abzurutschen; die Tochter hat schon wieder einen völlig unpassenden Lebensgefährten; der Vater ist zunehmend verwirrt, will aber unbedingt im eigenen Haus bleiben; die anhaltenden und unklaren Rückenbeschwerden bedeuten sicher nichts Gutes. Auch hier gibt es große Unterschiede in der gefühlten Belastung sowie im Umgang damit: Manche Menschen werden von Sorgen aufgefressen, anderen gelingt es, immer wieder Abstand davon zu nehmen und sich die Freude am Leben nicht völlig verdunkeln zu lassen.

Unserer Erfahrung nach entscheidet nicht das Schwere an sich über die Lebensqualität von Menschen. Viel wichtiger ist, wie schwer etwas empfunden und wie damit umgegangen wird. Unser Buch soll Sie dazu anleiten und dabei unterstützen, mit dem, was schwer für Sie ist, besser zurechtzukommen. Es ist unserer Erfahrung nach durchaus möglich zu lernen, mit Schwerem leicht zu leben. Überdies sprechen, wie wir Ihnen darlegen werden, gute Gründe dafür.

Von Haus aus sind wir systemische Therapeuten. Für das systemische Arbeiten zentral ist die Frage: Wie kann das angestrebte Ziel in wenigen Schritten am besten erreicht werden? In der Regel stellen sich erste Erfolge rasch ein, was die Motivation erhöht, "dran" zu bleiben, und dann kann es Schritt für Schritt weitergehen.

Dieses Verfahren haben wir aufs Schreiben übertragen - erfolgreich, wie wir feststellen konnten, aufgrund vieler Rückmeldungen zu unseren Büchern: "Das Brave-Tochter-Syndrom und wie frau sich davon befreit" und: "Endlich in Frieden mit den Eltern und frei für das eigene Leben". Auch schon in jenen beiden Büchern ging es darum, Menschen auf ihrem Weg zu einem leichteren Leben zu unterstützen, nämlich zum einen die besonders tüchtigen Frauen, die von klein auf für ihre Eltern getragen haben, und zum anderen alle erwachsenen Kinder, die die Beziehung zu ihren Eltern noch immer als belastet erleben.

Wir werden auch diesmal mit unseren Leserinnen und Lesern in bewährter Weise auf eine Reise gehen. Diesmal wenden wir uns an alle, die ihrem Gefühl nach schwer leben, aber lernen möchten, leichter zu leben. Sie werden Antworten bekommen auf Fragen wie: Wie kann ich das Schwere so lassen, wie es ist, und innerlich etwas Leichtes daneben setzen, um nicht völlig im Schweren zu versinken? Wie kann ich vermeiden, das Schwere aufzusaugen wie ein Schwamm? Wie kann ich Schweres nicht unnötigerweise noch schwerer machen, als es sowieso schon ist? Wie kann ich davon so weit Abstand nehmen, wie es für mich gut ist? Wie kann ich trotz all dem Schweren den Kopf oben behalten, den Alltag meistern, nicht in Sorgen und Traurigkeit versinken?

Wir wenden uns auch an Menschen, die schon erlebt haben, wie es sich anfühlt, leichter zu leben, die sich aber die erlangte innere Freiheit und Stabilität nicht auf Dauer bewahren konnten. Wie kann, nachdem Entlastung und Befreiung erlebt wurden, das Zurückfallen in alte Verhaltensmuster vermieden werden?

Unser Buch ist wieder ein echtes Gemeinschaftswerk. Wir haben alle Kapitel gemeinsam geschrieben. Wir möchten aber jeweils auch Persönliches mitteilen. Diese Absicht sprachlich umzusetzen, ist gar nicht so leicht. Eine "perfekte" Lösung gibt es nicht. Nach langem Überlegen haben wir uns zu folgendem Vorgehen entschlossen: In der Ich-Form wird nur der männliche Autor, Manfred Scherrmann, über Persönliches berichten. Persönliches von Beate Scherrmann-Gerstetter, das sich ebenfalls im Text findet, werden Sie auch ohne besondere Kennzeichnung leicht erkennen.

Ich hatte in meinem Leben viel Schweres zu tragen. Daher bin ich durch eine harte Schule gegangen. Anders als meine Frau, eine "rheinische Frohnatur", wie sie sich selber gelegentlich bezeichnet, habe ich vom Naturell her von klein auf das Schwere schwer genommen. Doch immer wieder war ich auf der Suche nach Möglichkeiten, mein Leben von Lasten zu erleichtern. Ich praktizierte unter anderem Yoga, übte Autosuggestion, machte Ausdauersport, wandte Atemtechniken an, lebte in einer Lebensgemeinschaft mit einem alternativen Lebenskonzept und meditierte dort regelmäßig und ausdauernd. Alle diese Techniken unterstützten mich, halfen ein Stück weit, lösten aber nicht mein Grundproblem: Ständig türmten sich neue Lasten vor mir auf. Erst über meine systemische Ausbildung und über intensive Erfahrungen als Therapeut und als Seminarleiter lernte ich immer klarer zu sehen, was aus einer Leid schaffenden Dynamik herausführt, mich selber und andere Menschen. Das brachte für mich erst so richtig den Durchbruch.

Hinzu kamen die Erfahrungen der letzten Jahre. Eine Krebserkrankung lehrte mich, wie entscheidend wichtig es ist, mit dem, was sich schwer anfühlt, mental gut umzugehen. Wollte ich nicht untergehen, musste ich mich um meine innere Stabilität kümmern. Dabei weitete sich mein Blick über mich selbst hinaus. Immer wieder nahm ich wahr, dass manche Menschen um mich herum es sich unnötig schwer machen. Andere können mit vielem erstaunlich gut umgehen. Darüber wollte ich mehr erfahren und habe genau hingeschaut. Was ich dabei sah und lernte, empfinde ich als so bedeutsam und kostbar, dass der Wunsch in mir entstand, es weiterzugeben. So entstand die Idee zu diesem Buch. Meine Frau war bereit mitzumachen, der Verlag hatte Interesse daran - ideale Voraussetzungen, das Projekt zu verwirklichen.

Meine Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Jahre bilden die Grundlage für die Teile 1-3 unseres Buches. Wir haben dort beschrieben, wie Menschen es sich durch das Missachten einfacher Verhaltensregeln im Alltag unnötig schwer machen, und erläutern detailliert, wie sie es sich leichter machen können, indem sie mental mit manchem anders umgehen.

Manche brauchen darüber hinaus eine Entlastung, die tiefer greift. Wenn es im Familiensystem, in der eigenen Lebensgeschichte und/oder aktuellen Lebenssituation sehr viel Schweres gibt, dann ist Grundlegendes nötig, um entscheidend weiterzukommen. Damit befassen wir uns in Teil 4.

In Teil 5 werden wir dann noch kurz weitere Möglichkeiten erläutern, mit Schwerem gut umzugehen - nur kurz, weil es speziell zum spirituellen Arbeiten und zum Meditieren extrem viel Literatur gibt. Daher stellen wir in diesem Buch mentale und systemische Zusammenhänge und daraus abgeleitete Hilfen in den Mittelpunkt. Stellen Sie sich wie bei einem Baukasten die Elemente zusammen, die zu Ihnen passen und die Sie voranbringen.

Und nun wünschen wir Ihnen viel Bewegendes, viel Anregendes, viel Ermutigendes, viel Berührendes, viel Erhellendes, und - sofern Sie sich selber mit unserer Unterstützung auf den Weg machen - viel Erfolg.







































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